Rad- und Autofahren scheint etwas besonderes zu sein. Alltagstätigkeiten schaffen es normalerweise nicht, die Gefühle so in Wallung zu bringen wie wenn sich Menschen berädert auf der Straße begegnen.
Dort entwickelt sich mitunter ein eigenartiger Gerechtigkeitsinn. Die Fahrer fühlen sich emotionsgeladen als Opfer, Richter und als Strafvollzieher gleichermaßen. Emotionen sind immer gut zu missbrauchen. In Wien schießt sich die konservative Volkspartei auf Radfahrer ein (Radrowdys ), um bei Autofahrern zu punkten.
In der konservativen Zeitung Die Presse ruft die Journalisten Sibylle Hamann zur Gelassenheit auf. Sie erklärt auf angenehm ruhige Art, was schiefläuft auf den Straßen. Einen Text, der so gut ist, dass wir ihn euch nicht vorenthalten wollen:
Die ÖVP schießt sich auf die Radler ein. Zeit für einen Grundkurs.
Kaum geht es ums Radfahren in der Stadt, steigt der Puls. Nicht bei den Radfahrern, wo das biologisch logisch wäre, sondern bei allen anderen. Bei den Fußgängern, wenn ihnen grade wieder einer um die Ohren gefahren ist, mit oder ohne vorwurfsvollem Klingeln. Noch höher bei jenen, die sich am allerwenigsten bewegen, dafür aber die allerschwächsten Nerven haben: den Autofahrern.
Die Wiener ÖVP zündelt und hat die so genannten „Rad-Rowdys“ zum Feinbild erklärt. Will eine Stadtwache zum Abstrafen losschicken und husst ihre Stammklientel auf (von der sie annimmt, dass sie Auto fährt). Das ist kontraproduktiv. Vernünftiger wäre es, zuerst einmal über ein paar Grundregeln Konsens herzustellen:
- Die Straße gehört nicht den Autos. Auch wenn Autofahrerclubs das gar nicht gerne hören: „Verkehr“ ist nicht nur, was einen Auspuff hat, „Verkehr“ sind alle, und zwar gleichrangig. Jeder, ob Fiaker oder SUV, hat im öffentlichen Raum dasselbe Recht, unversehrt, unbeschimpft und unbedrängt an seinen Bestimmungsort zu gelangen.
- Es gibt, auch wenn die Autowerbung anderes verspricht, kein Vorrangsranking nach PS. Kein Fußgänger muss hurtig zur Seite hüpfen, weil Sie sich ungebremst dem Zebrastreifen nähern, und kein Radfahrer hat die Pflicht, sich an die rechte Gehsteigkante zu pressen, bloß weil Sie hupen. Man würde Fußgängern und Radfahrern gern raten, solche ängstlichen Verhaltensweisen abzulegen – weil sie Autorowdys damit in deren Machtrausch bestärken. Aber man kann ja niemandem ernsthaft raten, sein Leben aufs Spiel zu setzen.
- Sie fühlen sich im Auto von Fußgängern oder Radfahrern aufgehalten? Dann ist es Zeit für drei Minuten Logik hinterm Volant. Erstens: Jeder, der sich mit eigener Körperkraft fortbewegt, schenkt Ihnen mehr Platz auf der Straße und vermindert Ihren Stau. Seien Sie also jedem einzelnen dankbar. Zweitens: Wenn es zu eng zum Überholen ist, liegt das nicht an der Breite des Fahrrads, sondern an der Breite Ihres Autos. Ärgern Sie sich also, wenn überhaupt, über Ihr Auto. Drittens: Radfahrer sind, egal ob Sie überholen oder nicht, ziemlich sicher vor Ihnen am Ziel. Auch das muss Sie nicht ärgern. Sie fahren ja wahrscheinlich aus anderen Gründen.
- Radfahrer sind keine Fußgänger. So banal das klingt, so schwer ist es offenbar zu begreifen ? von allen. Radfahrer gehören deswegen nie und nimmer auf den Gehsteig, sondern auf die Straße. Verludert und verwischt wurde dieses simple, einleuchtende Prinzip bloß von bescheuerten Verkehrsplanern, die gelbe Striche auf Gehsteige pinseln und Radampeln mit Fußwegampeln gleichschalten.
- Fußgänger dürfen fast alles, auf dem Gehsteig zumindest. Sie dürfen schlendern, spielen, schubsen und stehen, telefonieren, fotografieren, Handstand machen und sogar betrunken sein. Hinterrücks aus dem Weg klingeln lassen muss sich keiner. Und keine noch so bescheuerte Verkehrsplanung gibt Radfahrern das Recht, ihren Ärger an Fußgängern auszulassen.
- Bremsen Sie. Lassen Sie, sofern Sie nicht grade zu Fuß gehen, das Telefonieren bleiben. Ärgern Sie sich weniger. Es zahlt sich aus.
Sibylle Hamann ist Redakteurin beim „profil„.
- Zum Originalartikel auf www.diepresse.com
- Die Presse in Wikipedia