Der ADFC Dresden hatte zum 20. Mai die OB-Kandidaten und alle interessierten Bürger eingeladen, um miteinander über die Perspektiven der Radverkehrspolitik in Dresden zu reden. Im übervollen Großen Saal des Gewerkschaftshauses fand eine spannende Diskussion statt, bei der auch die Fragen der Zuhörer nicht zu kurz gekommen sind. Hier gibt’s das Protokoll.
(Die Reihenfolge der Kandidaten ist zufällig und stellt keine Gewichtung durch unseren Verein dar)
1) Vorstellung der Positionen
Lames:
-
selbst Radfahrer, legt Arbeitsweg per Rad zurück, das soll auch nach der Wahl so bleiben
-
hält 20% Radverkehrsanteil für realistisch und erstrebenswert und setzt sich das zum Ziel
-
weitere Ziele: Radverkehrskonzept vorlegen und umsetzen
-
wichtig vor allem: Ausbaustandards für Radverkehrsanlagen; Stetigkeit der Führung; Hauptroutennetz; Vernetzung mit ÖPNV
-
sieht eine für Dresden spezifische große Chance in der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Verwaltung
-
will Betroffene in Planungsprozeß einbeziehen: ADFC, VCD, ADAC
-
für Verdopplung der bisherigen Ausgaben für den Radverkehr, hält Forderung nach 2,5 Mio für unrealistisch
-
Schlußfolgerung aus den 1200 Radverkehrsunfällen im Jahr 2007: Dresden braucht eine andere Mobilitätskultur, dazu muss die Verwaltung beitragen
Jähnigen:
-
Dresden ist ein fahrradpolitisches Wunder, die Steigerung des Radverkehrsanteils auf 14% fand trotz schlechter Infrastruktur statt
-
Verkehr muss im Zusammenhang betrachtet werden, die Planungen in Dresden sind bisher zu einseitig autobezogen
-
Innenstadtkonzept Radverkehr steht noch immer aus
-
Planung für die Albertbrücke berücksichtigt die Belange der Radfahrer nicht genügend
-
alltagstaugliche Radverkehrsanlagen sind nötig, dazu gehört auch die Qualität der Fahroberflächen und die Radverkehrsführung an Baustellen
-
das Sicherheitsmanagement in Dresden ist unbefriedigend
-
Verbundstellen zwischen ÖPNV und Radverkehr fehlen
-
Marketing für Radverkehr muss verbessert werden
-
nächste Aufgaben sind die Fortschreibung des Verkehrskonzepts und die Schaffung planerischer Kompetenz
-
2,5 Mio für Radverkehr sind sinnvoll
Boltz:
-
Möchte Ausführungen der Vorredner nur ergänzen und nicht wiederholen
-
sieht Handlungsbedarf für den Radverkehr, möchte aber auf Zu-Fuß-Gehen als DIE städtische Verkehrsart hinweisen
-
hält Ausgaben von 2,5 Mio aufgrund des Nachholbedarfs für sinnvoll
-
spricht sich für Schaffung eines alltagstauglichen zusammenhängenden Netzes von Radrouten aus
-
Radfahren wird zum Problem, wenn die Trennung der Verkehrsarten oberste Priorität bekommt
-
spricht sich für Radfahren auch in Parks, Fußgängerzonen und entgegen der Fahrtrichtung in Einbahnstraßen aus
Orosz
-
Radfahren wird zunehmend beliebter
-
Radfahren benötigt eigene Infrastruktur
-
will 20% Radverkehrsanteil bis 2010 erreichen
-
Radfahren ist Wirtschaftsförderung, gesund …
-
Radverkehrsförderung ist Aufgabe der Kommune
-
Ein Radverkehrskonzept ist nötig
-
Der Radverkehrsbeauftragte muss durch die Verwaltungsstruktur unterstützt arbeitsfähiger werden
-
Marketing für das Fahrrad: öffentlicher Dienst soll Vorbild werden und Dienstfahrräder stärker nutzen
-
halbherzige Infrastruktur ist schlechte Infrastruktur
Sühl
-
Freizeitfahrradfahrer, bevorzugt für seine Wege den ÖPNV
-
ist neu in Dresden, hier noch nicht mit dem Rad gefahren
-
betont den Tourismusfaktor
-
Radfahrer sind „Helden der Landstraße“, Radfahren in Dresden ist gefährlich und Fahrradwege, z.B. über die Albertbrücke sind katastrophal
-
Radfahren ist innerstädtisch die zukunftsträchtigste Fortbewegungsart
-
Radfahren in Dresden erfordert akrobatische Fähigkeiten
-
Radfahrer werden nicht nur gegenüber dem MIV benachteiligt, auch gegenüber dem ÖPNV
-
Aufklärungsarbeit in Stadt und Verwaltung ist nötig
2) Frage: Konkrete Maßnahmen für den Radverkehr, die die Kandidaten ergreifen wollen, bezüglich Verkehrsklima, Flächenverteilung, Ausgaben und Verwaltung
Jähnigen:
-
Stelle des Radverkehrsbeauftragten aufstocken von jetzt 1/3 auf 100%
-
2,5 Mio für Radverkehr bereitstellen
-
Ausrichtung der Verkehrsinvestitionen auf Umweltverbund
-
Verkehrsklima durch Mischverkehrsflächen verbessern
Boltz
-
Verdrängungseffekte des „Verkehrsdarwinismus“ umkehren: Vorrang für die „Schwächeren“
-
Mischverkehrsflächen mit geringen Geschwindigkeiten als „Normalzustand“ in Wohngebieten
Orosz
-
Gleichberechtigung beim Neubau von Verkehrsanlagen – aber Sicherheit muss beachtet werden
-
durchlaufende Trassen sind die Fernradwege
-
Kinderanhänger sollen nicht auf der Straße gefahren werden, denn das ist zu gefährlich, davor müssen die Kinder geschützt werden, deswegen sollen Eltern mit Kinderanhängern auf dem Gehweg fahren
Sühl
-
Politik- und Verwaltungsstil muss geändert werden
-
konkrete Schritte statt Visionen sind nötig
-
Interessenvertreter einbeziehen
Lames
-
Bei Flächenverteilung geht Sicherheit der Schwächeren jeweils vor
-
Verdopplung der bisherigen Radverkehrsausgaben
-
Radverkehrsbeauftragter muss volle Stelle bekommen
-
Verwaltung muss insgesamt auf Radverkehrsförderung ausgerichtet werden
3) Entscheidungsfragen:
Lames | Jähnigen | Boltz | Orosz | Sühl | |
Wünschen Sie sich manchmal, dass Ihr Fahrrad eine andere Farbe hat? | ja | nein | nein | nein | nein |
Halten Sie das Problem für lösbar, dass ältere Menschen sich zunehmend über Radfahrer auf Gehwegen beklagen? | ja | ja | ja | ja | ja |
Schaffen Sie es, die Hüblerstr. innerhalb von zwei Jahren für Radfahrer in Richtung Blaues Wunder freizugeben? | ja | ja | ja | ja | ja |
Bild schlechte Baustellenführung: Fahren Sie hier wie vorgeschrieben? | nein | nein | nein | nein | Enthaltung |
Reparieren Sie ihr Fahrrad selbst? | ja | ja | ja | nein | nein |
Organisieren Sie als OB die Verwaltung so um, dass der Radverkehrsbeauftragte sich zu 100% dem Radverkehr widmen kann? | ja | ja | ja | ja | ja |
Werden Sie nach der Wahl einen regelmäßigen Kontakt zum ADFC pflegen? | ja | ja | ja | ja | ja |
Werden Sie nach der Wahl Kontakte zur Bahn pflegen, um die Abstellsituation für Fahrräder an den Fernbahnhöfen zu verbessern? | ja | ja | ja | ja | ja |
Bürgermeister Feßenmayr hat zu Jahresbeginn auf eine Anfrage aus dem Stadtrat zum Winterdienst u.a. geantwortet: „Im Sinne der Verkehrssicherheit sollte bei schwierigen Witterungsbedingungen auch auf eine Radfahrt verzichtet werden.“ Teilen Sie diese Auffassung? | ja | nein | nein | ja | ja |
Anschließende Ergänzungen:
Dr. Lames repariert sein Fahrrad „gelegentlich“ selber und „fördert ansonsten den Mittelstand“.
5. Frage: Wieviele Fahrradbügel sollten in den nächsten sieben Jahren aufgestellt werden: 100, 1.000, 10.000 oder 100.000?
Boltz:
-
10.000 sinnvoll und machbar, aber auch 5.000 wären ein Erfolg, sieht Widerstände
Orosz:
-
10.000, aber auch 7.000 oder 8.000 wären schon gut
Sühl:
-
10.000, aber die reichen eigentlich nicht bei dem angestrebten Radverkehrsanteil
Lames:
-
Möglichst viele, das wäre auch ein sichtbares Bekenntnis der Stadt zum Radfahren
-
keine Zahl, möchte Fachleute fragen
Jähnigen:
-
10.000
-
gute Qualität und auch Überdachungen
-
auch Private sollten Bügel aufstellen
6. Frage: Sehen Sie Nachholbedarf bei den Dresdner Kindergärten und Schulen bezüglich der Fahrradabstellanlagen und der Abstellräume?
Orosz:
-
Ja, auch an Schulen
Sühl:
-
Vermutlich ja
Lames:
-
Aus Erfahrung: viel zu wenige vorhanden
Jähnigen:
-
Bei vielen Einrichtungen zu wenige Abstellmöglichkeiten, sowohl bei öffentlichen als auch bei privaten Einrichtungen
Boltz:
-
Möchte Kindereinrichtungen so nahe an der Wohnung haben, dass man laufen kann
-
prinzipiell ja
7.a) Frage: Bild Filmnächte – Sperrung Elbradweg. “Wo würden sie ansetzen in der Verwaltung? Was würden sie verbessern?”
Sühl:
-
Mangelnde Sensibilität
-
einseitige Prioritätensetzung
Boltz:
-
Veranstalter zwingen, Durchfahrt zu ermöglichen
Jähnigen:
-
Stadt hat schlecht verhandelt
Orosz:
-
Man muss schauen, für kurze Zeit muss man das vielleicht akzeptieren. Allerdings mit Umleitung
7b) Frage: Bild Terassenufer , zugeparkter Radweg. „An welcher Stelle der Verwaltung setzen Sie an – und was konkret machen Sie, damit nicht vorkommt?“
Lames:
-
Situation schlecht erkennbar
-
Räder auf die Fahrbahn malen
-
Ordnungsamt einschalten
7.c) Frage: Bild Wittenberger Str. – Mülltonnen (und junge Bäume) nehmen fast den ganzen Fußweg ein. „Wo und an welcher Stelle in der Verwaltung setzen Sie an, dass so etwas nicht wieder vorkommt? Was würden Sie tun?“
Jähnigen:
-
Stadtteilmanagement
-
Kübel müssen auf die Straße statt auf den Gehweg
7.d) Frage: Bild Gymn. Junghansstraße. „Wo und an welcher Stelle setzen Sie an, damit sich hier etwas ändert?“
Boltz:
-
Zusammen mit ADFC Standards entwickeln und dann umsetzen
7.e) Frage: Bild Könneritzstr. – DVB-Mast behindert Radverkehr. „Wo würden sie ansetzen, damit so etwas nicht mehr passiert? Es ist nach der Wende gebaut worden.”
Orosz:
-
Vollkommen fehlgeplant, sehr gefährlich
-
intelligente Planung nötig
-
vor Ort gehen
Lames:
-
Planer haftbar machen, in Regress nehmen
9) Fragen zu Wahlprogrammen
Lames: Sie werben mit dem Slogan: „Dresden muss gerechter werden“ – inwiefern sehen Sie Ungerechtigkeiten zulasten des Radverkehrs und was tun Sie dagegen?
-
Nicht zuerst an den Radverkehr gedacht bei der Formulierung
-
gerechter Ausgleich zwischen den Verkehrsarten statt des bisherigen Vorrangs des MIV
Jähnigen: Im Zweifel für den ÖPNV?
-
Mitnahmemöglichkeiten verbessern
-
Vernetzung fördern
-
außer bei Mittelverteilung gibt es keine Konflikte
Boltz: Bürgerbeteiligung
-
Bürgergutachten sind hilfreich
-
unmittelbare Bürgerbeteiligung durch Votum nach Information
-
Gegensatz zu bisherigen Verwaltungsabläufen
Orosz: „Frau Orosz, Sie sprachen 2007 bei ihrer Nominierung davon, (für die CDU anzutreten – als Oberbürgermeisterkandidatin, dass Dresden die Waldschlösschenbrücke brauche, da dass Blaue Wunder nur noch eine begrenzte Lebensdauer habe. Ist diese Politik – neu zu bauen, anstatt das alte zu sanieren – noch für andere Bauwerke vorgesehen? Wenn Ja: Für welche? Wenn Nein: Warum gerade fürs Blaue Wunder?“
- Einzelfallbetrachtung erforderlich
-
hängt vom Gegenstand ab
-
Kosten beachten, Ökonomisch sinnvoll geht vor unbedingter Bewahrung
Sühl: Verwaltungskompetenz
-
Politische Ausrichtung einer Verwaltung ist beeinflussbar
10) Publikumsfrage: Orosz – Was würden Sie anders machen als Herr Roßberg?
Orosz: um Akzeptanz in der Verwaltung bemühen statt eigene kleine Parallelstruktur aufzubauen; weniger introvertiert sein, bisherige Verwaltung nicht ausschließen
11) Publikumsfrage: Augustusbrücke asphaltieren?
Jähnigen: Augustusbrücke sollte verkehrsberuhigt werden – das ist aber keine Alternativroute für die Zeit der Filmnächte. Filmnächte sind eine private Veranstaltung und dürfen nicht den Elbradweg sperren. Zur Verkehrsberuhigung gehört auch eine Handlungsempfehlung für die Verwaltung.
Boltz: Verkehrsberuhigung ist Reizwort; Erreichbarkeit muss vor Geschwindigkeit gehen und der Verkehr muss entschleunigt werden. Augustusbrücke neu pflastern würde sie für Radfahrer benutzbar machen, denkmalpflegerische Gesichtspunkte verbieten Asphaltierung
Sühl: MIV von Augustusbrücke verbannen
12) Publikumsfrage: Sollte die Mitnahme von Rädern im VVO nicht kostenlos sein?
Lames: ja
Jähnigen:ja, und es wird mehr Platz für Räder in der Bahn gebraucht, auch überregional
Sühl: ja
13) Publikumsfrage: Warum hat der Postplatz keine (geeigneten) Radverkehrsanlagen?
Lames: Postplatz ist nicht gelungen, Einzelheiten dann lieber im persönlichen Gespräch
Boltz: Auch Antonstr. ist mangelhaft, ein Muster verkorkster Verkehrsplanung, vermutlich zwecks möglichst hoher Durchlässigkeit des 26er Rings
Jähnigen: das Tempo-60-Programm, dass die CDU einige Jahre lang vorantrieb erfordert nun ein Verkehrssicherheitsprogramm für 2,8 Mio Euro. Wir brauchen schon aus stadtökologischer Sicht einen anderen Umgang mit dem Thema Verkehr.
14) Publikumsfrage: Elbradweg beiderseits durchgängig befahrbar machen
Orosz: ja, das sollte gemacht werden
Sühl: selbstverständlich wünschenswert – aber das ist eben auch eine wohlfeile Aussage
Boltz: Planfeststellungsverfahren mit Enteignungsmöglichkeit wäre zu erwägen
Jähnigen: muss höhere Priorität bekommen
Lames: Verbindungen zwischen Pillnitzer Landstraße und Elbradweg sind wichtig.
15) Publikumsfrage: Sollen Radfahrer mit Kinderanhänger wirklich nicht auf der Straße fahren obwohl doch Fahren auf dem Gehweg verboten und es auf der Straße sicherer ist?
Orosz: sollten wirklich nicht, ist zu gefährlich.
16) Publikumsfrage: Halten Sie die Einrichtung von Fahrradstraßen in Dresden für sinnvoll/machbar?
Jähnigen: ja, Alaunstraße wäre denkbar
Lames: ja, grundsätzlich. Habe gute Erfahrung damit aus Studentenzeit in Freiburg.
Orosz: im Rahmen eines Gesamtkonzepts vorstellbar
Boltz: Fahrradstraßen sind weniger gut als gemeinsame Nutzung des Verkehrsraums durch alle.
17) Publikumsfrage: Widersprüche zwischen Interessen der DVB und dem Radverkehr – wenn die DVB die Planung oder Finanzierung eines Umbaus übernimmt, darf das dann so ausgehen wie in der Bodenbacher (oder auch auf dem Postplatz)?
Jähnigen: Beteiligte/Betroffene müssen besser in die Planungen einbezogen werden.
Lames: städtische Planungskompetenz muss gestärkt werden. Auch wenn DVB im Auftrag der Stadt plant, muss diese als Gesellschafter und Auftraggeber städtische Vorstellungen durchsetzen.
Orosz: Bodenbacher ist eine schlechte Lösung. DVB sollte sich stärker auf Radfahrer als orientieren. Bei Planungen muss die Stadt stärker einwirken.
Boltz: Bodenbacher ist ein Fehler, manchmal muss ein Fehler erst gemacht werden, damit man daraus lernen kann.
18) Publikumsfrage: Plädoyer für schwächere Verkehrsteilnehmer – Widerstände …
Jähnigen: sog. Schwächere sind in Wahrheit die Mehrheit der Bevölkerung, stärkere Bürgerbeteiligung führt zu Berücksichtigung der Interessen dieser Mehrheit
19) Abschlußfrage des ADFC: Was wäre Ihr persönlicher Beitrag zur Förderung des Fahrradverkehrs für den Fall, dass Sie zum OB gewählt werden?
Lames: fahre weiterhin täglich mit dem Rad ins Büro
Jähnigen: unternehme gemeinsame Ausfahrten mit Verwaltungmitarbeitern auf den städtischen Dienstfahrrädern
Boltz: Umkleidemöglichkeiten für Verwaltungsmitarbeiter, die mit dem Rad zur Arbeit fahren, müssten geschaffen werden
Orosz: Umsetzung der heute gemachten Aussagen
Sühl: selbst Rad bzw. mit ÖPNV fahren